Interview mit Ebba Hammerschmidt, ehemalige Schulleiterin einer kooperierenden Schule und BERLINER LESEPATIN

 

Welche Wirkung erzielen die BERLINER LESEPATEN an den kooperierenden Schulen, mit welchen Herausforderungen sind die Schulen konfrontiert und welche Erfahrungen machen Kinder und Schulen mit der Unterstützung durch die BERLINER LESEPATEN?

Wir haben nachgefragt und hierfür die ehemalige Schulleiterin einer Berliner Grundschule, Ebba Hammerschmidt, interviewt. Zeitweise waren 16 Lesepatinnen und Lesepaten an ihrer Schule tätig, die die Kinder über mehrere Jahre begleitet und bei der Leseförderung unterstützt haben. Derzeit sind 18 BERLINER LESEPATEN an der Schule im Einsatz, einige davon schon seit über einem Jahrzehnt. Ebba Hammerschmidt konnte bei ihren eigenen Enkelkindern in den vergangenen Schuljahren beobachten, wie sehr sie unter der coronabedingten Lernsituation gelitten haben und möchte sich nun selbst als BERLINER LESEPATIN ehrenamtlich engagieren. Vielleicht auch Sie? 

Frau Hammerschmidt, warum haben Sie sich damals entschieden, in Ihrer Schule ehrenamtliche BERLINER LESEPATEN einzusetzen?

Die Kinder unserer großen Grundschule im Norden von Steglitz kamen (und kommen) aus sehr unterschiedlichen Milieus, brachten also sehr unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen mit und brauchten entsprechend differenzierte Förderung und Zuwendung. Die sehr aktive Elternschaft und der Förderverein hatten schon früher eine Schulbücherei für die Kinder eingerichtet, die von Eltern betreut wurde. Wir beteiligten uns am bundesweiten Vorlesetag – kurzum, Lesen als Schlüsselkompetenz hatte schon lange einen hohen Stellenwert an unserer Schule.

Gewinn für die Kinder

Was bewirkt die Zusammenarbeit der BERLINER LESEPATEN mit den Kindern, wo sehen Sie den größten Gewinn?

Die Arbeit der Lesepatinnen und Lesepaten an meiner Schule unterschied sich natürlich in den einzelnen Jahrgangsstufen: Während mit einzelnen Lernanfängerinnen und Leseanfängern jeweils 15 Minuten vorgelesen und Lesen geübt wurde, lag der Schwerpunkt der Arbeit mit den größeren Kindern oft im Fördern des sinnentnehmenden Lesens, d. h. Sachtexte z. B. aus Geschichte oder Naturwissenschaften wurden gemeinsam gelesen und besprochen.

Nicht nur schüchterne Kinder oder solche mit zusätzlichem Förderbedarf profitierten von der entspannten, „gemütlichen“ Atmosphäre mit den Lesepatinnen und Lesepaten, von der geduldigen Ermutigung ohne Leistungsbewertung. Ganz wichtig war für viele Kinder, dass sie durch die Ehrenamtlichen ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt bekamen; immer wieder vertrauten Kinder ihren Lesepatinnen und Lesepaten auch Kümmernisse an, die sie sonst vielleicht nicht losgeworden wären.

Bei uns musste nicht auf dem Flur gelesen werden, sondern wir hatten (damals!) genügend Räume, z. T. im Hortbereich oder in der Schulbücherei. Wenn die Kooperation zwischen Lehrkraft und Ehrenamtlichen gut klappte, freuten sich die Kinder immer auf ihre Zeit in der Minigruppe (2 – 3 Kinder) und forderten sie ein: „Heute bin ich aber mal dran!“

Gewinn für die Schule

Der Einsatz von zeitweise 16 Lesepatinnen und Lesepaten bedeutete eine spürbare Entlastung für Lehrkräfte und Erzieherinnen. Voraussetzung hierfür war allerdings, dass die Lehrkraft den Einsatz der Ehrenamtlichen bewusst in ihre Wochenarbeit einplante und vor allem zu Beginn konkret besprach, was, wie und mit welchen Materialien geübt werden sollte.

Der Einsatz ging nach Absprache oft über die reine Leseförderung hinaus; einzelne Lesepatinnen und Lesepaten begleiteten Klassen auch auf Wandertagen und Exkursionen. Gespräche zwischen Lehrkraft und Ehrenamtlichen über deren Beobachtungen in der Arbeit mit einzelnen Kindern brachten oft eine Erweiterung des Blickwinkels auf das einzelne Kind.

Im halbjährlichen Treffen, das ich für Lehrkräfte und Lesepatinnen und Lesepaten organisierte, kam es zu regem Gedanken- und Erfahrungsaustausch; zudem gab es für beide Seiten die Möglichkeit des Wechsels, wenn z. B. eine Lesepatin oder ein Lesepate lieber mit jüngeren oder älteren Kindern arbeiten wollte.

Inwiefern halten Sie digitale Lesepatenschaften für sinnvoll?

Dazu habe ich keine direkten Erfahrungen; ich könnte mir vorstellen, dass in Zeiten von coronabedingtem Distanzunterricht die digitale Betreuung einzelner (älterer) Schülerinnen und Schüler hilfreich sein kann.  Vor allem für jüngere Kinder kann aber der direkte, analoge Kontakt mit den Lesepatinnen und Lesepaten wohl nur unzureichend durch eine digitale Lesepatenschaft ersetzt werden.

Erfahrungswerte zeigen, der Einsatz von außerschulischen Partnern kann in den Schulen große Erfolge bringen und sehr effektiv sein. Können Sie uns erklären warum?

Die Kooperation von Schule und außerschulischen Partnern führt zu einer Öffnung und Horizonterweiterung, wenn diese ihre Lebens- und Berufserfahrungen mit einbringen können und ihr Wissen Wertschätzung erfährt.

Der Schulalltag wird abwechslungsreicher – oder weniger euphemistisch: Vieles, wozu Schule einen umfassenden Bildungsauftrag hat, lässt sich schon lange nur noch mit der Unterstützung durch (ehrenamtliche) Kooperationspartner realisieren, da die Personaldecke zu kurz, zu dünn und an vielen Stellen nur mühsam geflickt ist.

Was ist Ihre Motivation, sich nun selbst als BERLINER LESEPATIN zu engagieren?

Nach einigen Jahren im Ruhestand und als Großmutter mehrerer Enkelkinder im Grundschulalter haben mich die Berichte über die Auswirkungen des Distanz- und Wechselunterrichts auf Kinder vor allem aus „bildungsdistanten“ Milieus bewogen, Lesepatin werden zu wollen.

Ich möchte dazu beitragen, dass Kinder nicht nur das ABC von A bis Z beherrschen, sondern dass sie Zutrauen in die eigene Lern- und Leistungsfähigkeit (wieder)erlangen und erfahren, dass es gut ist, neugierig zu sein und dass jeder Lernfortschritt das Selbstwertgefühl stärkt.

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